Verstöße gegen die Allgemeinverfügung zur
Eindämmung des Corona-Virus | Brief ans Ordnungsamt

An das
Ordnungsamt Bremen
Stresemannstraße 48
28217 Bremen

Bremen, 30.03.2020

Verstöße gegen die Allgemeinverfügung zur Eindämmung des Corona-Virus vom 23.03.2020 beim Weiterbetrieb der Landeserstaufnahmestelle Bremen,
Lindenstraße 110 durch die Senatorin für Soziales und die AWO Soziale Dienste gGmbH;

Aufforderung zur Schließung der Einrichtung durch das Ordnungsamt Guten Tag,

wie Ihnen aus eigener Anschauung und Medienberichten bekannt sein dürfte, werden die Bestimmungen Ihrer o.g. Allgemeinverfügung in der im Auftrag der Senatorin für Soziales von der AWO Bremen betriebenen Aufnahmeeinrichtung in der Lindenstraße 110 täglich in großer Zahl verletzt. Konkret ist uns Folgendes bekannt:

Bis zu 10 einander ansonsten fremde Menschen müssen in einem Raum schlafen. Dabei handelt es sich ohne Zweifel um eine verbotene Menschenansammlung im Sinne von Nr. 1a der Verfügung;

Die Einnahme der Mahlzeiten im dafür vorgesehenen Raum ist für die Bewohner*innen verpflichtend, auch dort können die Mindestabstände entsprechend Nr. 1c der Verfügung nicht eingehalten werden;

Insgesamt ist für die große Anzahl der dort lebenden Menschen kein ausreichender Platz vorhanden, um die Vorgaben entsprechend Nr. 1 c, g und h der Verfügung einzuhalten.

Diese und weitere Verstöße wurden von Bewohner*innen selbst öffentlich dokumentiert: https://togetherwearebremen.org/updates-from-shut-down-lindenstrase-aktuelle- entwicklungen-wahrend-der-corona-krise/

Ihre Allgemeinverfügung vom 23.03.2020 enthält Ausnahmeregelungen für einige Veranstaltungen und Einrichtungen, die unter genau benannten Auflagen weiter betrieben bzw. stattfinden dürfen, beispielsweise Hotels, Sitzungen der Bürgerschaft oder Beerdigungen. Ausnahmen für den Betrieb der Erstaufnahmeeinrichtung oder anderer Wohneinrichtungen sind nicht benannt worden und es wäre auch kein sachlicher Grund dafür erkennbar.

Die Senatorin für Soziales hat sich durch ihren Sprecher Dr. Schneider und den Staatsrat Fries bereits mehrfach öffentlich zu der Situation geäußert. Dabei wurde weder die oben beschriebene Situation bestritten, noch behauptet, dass die Allgemeinverfügung in dieser Hinsicht Ausnahmen zulasse.

Behauptet wurde, der Betrieb der Einrichtung sei notwendig und gesetzlich vorgeschrieben. Sofern dies der Wahrheit entspräche, wäre es in der Allgemeinverfügung zu berücksichtigen gewesen, was nicht geschehen ist. Die bloße Behauptung, etwas sei notwendig, entbindet auch ansonsten nicht von der Verpflichtung, die Verfügung zu befolgen.

Die Behauptungen sind jedoch unzutreffend: Angesichts von zahlreichen Leerständen zum Beispiel in Hotels ist eine Unterbringung in kleineren Einheiten möglich und aufgrund der staatlichen Schutzpflichten für die Bewohner*innen geboten. Die Sozialbehörde selbst bestätigte dies jüngst durch die Anmietung der Jugendherberge für diesen Zweck.

Rechtliche Grundlage für die Allgemeinverfügung ist das Infektionsschutzgesetz (IfSG). Nach dem IfSG muss die zuständige Behörde die notwendigen Maßnahmen treffen, um die durch Corona drohenden Gefahren abzuwenden (§ 16 Absatz 1 Satz 1 IfSG und § 28 Absatz 1 IfSG). Zum Infektionsschutz sind bundesweit Betreuungseinrichtungen für Kinder geschlossen und Veranstaltungen und sonstige Ansammlungen größerer Zahlen von Menschen stark eingeschränkt worden. Vor diesem Hintergrund ist es nicht nachvollziehbar, dass die Sammelunterkünfte in der bisherigen Form aufrechterhalten werden, statt für eine m eine umfassende dezentrale Unterbringung zu sorgen.

Eine gesetzliche Verpflichtung zum Betrieb einer Aufnahmeeinrichtung ergibt sich aus § 44 Abs. 1 AsylG. Allerdings dürfte die Erfüllung dieser Verpflichtung wie andere gesetzliche Vorgaben gegenüber den Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus nachrangig sein.

Viele der Bewohner*innen der Einrichtung sind keine Asylsuchenden. Für sie besteht grundsätzlich keine Verpflichtung, in der Einrichtung zu wohnen. Für alle anderen Personen sind bisher evtl. bestehende individuelle Verpflichtungen gemäß § 48 Nr. 1 AsylG (rechtliche Verpflichtung zu angemessener Unterbringung nach der Allgemeinverfügung), § 49 Abs. 1 AsylG (Abschiebungen sind in absehbarer Zeit nicht möglich) und vor allem gemäß § 49 Abs. 2 AsylG (Erfordernisse der öffentlichen Gesundheitsvorsorge) aufzuheben.

Die Vorschrift des § 49 Absatz 2 AsylG sieht vor, dass die Verpflichtung, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, aus Gründen der öffentlichen Gesundheitsvorsorge beendet werden kann. Die Landesregierung von Schleswig-Holstein hat bereits in einem Erlass des Landesinnnenministeriums vom 18. März Maßnahmen gem. § 49 Abs. 2 AsylG ergriffen. Bei ernstlichen infektionsspezifischen Gefahren verbleibt den Behörden kein Ermessensspielraum. Nach Darstellung des Robert Koch-Instituts handelt es sich um eine sehr infektiöse Erkrankung. Das Verwaltungsgericht Bremen führt in seinem Beschluss zur Ladenschließung eines Sonderpostenmarkts vom 26. März 2020 unter Bezugnahme auf das Robert Koch-Institut aus, dass mangels Impfung oder spezifischer Therapie gegen das Virus alle Maßnahmen darauf gerichtet sein müssen, die Verbreitung der Erkrankung in Deutschland zu verlangsamen. Zentral seien dabei kontaktreduzierende Maßnahmen, wie die Absage von Großveranstaltungen sowie von Veranstaltungen in geschlossenen Räumlichkeiten, bei denen ein Abstand von 1 – 2 Metern nicht gewährleistet werden könne. Bei dem Betrieb der Aufnahmeeinrichtung in der Lindenstraße handelt es sich um eine täglich stattfindende Großveranstaltung.

Ausweislich einer Pressemitteilung der Polizei Bremen wird gegen Teilnehmende eine Kundgebung am 27.03.2020, die auf die Missachtung der Verfügung in der Aufnahmestelle hinweisen wollte, wegen Verstößen gegen die Verfügung ermittelt. Es ist aus unserer Sicht unerträglich und nicht nachvollziehbar, dass gleichzeitig die offenkundigen Verstöße durch die Betreiber innerhalb der Einrichtung anscheinend kommentarlos hingenommen werden.

Wir fordern Sie daher auf, den Weiterbetrieb der Einrichtung zu untersagen und die dezentrale Unterbringung der jetzigen und neu eintreffenden Bewohner*innen gemäß den Erfordernissen der Allgemeinverfügung anzuordnen.

Wir weisen daraufhin, dass der vorsätzliche oder fahrlässige Verstoß gegen die in der Allgemeinverfügung getroffenen Regelungen nach § 75 Abs. 1 Nr. 1; Abs. 3, Abs. 4 IfSG – selbst wenn es dadurch nicht zu einer Verbreitung des Coronavirus kommt – eine Straftat darstellt und behalten uns ausdrücklich vor, eine entsprechende Strafanzeige zu stellen.

Wir bitten außerdem um Mitteilung, ob wegen den genannten oder anderen Verstößen in der Einrichtung gegen die verantwortlichen Betreiber*innen bereits ermittelt wird.

Mit freundlichem Gruß

N. Ghafouri, A. Wagner (Vorstand)

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