Wenn junge Flüchtlinge in Deutschland angelangt sind, ist ihr bisheriges Leben auf oft sehr unsanfte Weise unterbrochen worden. Der Zugang zu Bildung und Ausbildung erleichtert das Ankommen, bedeutet Teilhabe und bietet für Sie neue Chancen und Perspektiven. In Bremen haben geflüchtete Kinder einen Bildungsanspruch, denn sie sind schulpflichtig. Dennoch wird nicht allen sofort ein Schulplatz zugewiesen.
Wir setzen uns für eine „Schule für alle“ ein. Im Rahmen einer bundesweiten Kampagne und einem Projekt vor Ort, in dem Infoveranstaltungen, Fortbildungen und Beratungen stattfinden und geflüchtete Schüler und Schülerinnen in Bremen beim Zugang zur Schule und durch Empowerment unterstützt werden, bessere Integrationschancen zu erlangen (siehe unten).
Hier ein aktueller Bericht in der Jungle World
Zunächst müssen Kinder und Jugendliche, die mit ihren Eltern nach Deutschland geflüchtet sind, bundesweit in Erst- und Notaufnahmen oder sogenannten Ankunftszentren leben. Während dieser Zeit werden die Kinder und Jugendlichen vielerorts grundsätzlich nicht eingeschult. Diese Phase kann bis zu 6 Monate dauern.
In Bremen sind Kinder ab sechs Jahren schulpflichtig. Die Schulpflicht dauert 12 Jahre und gilt für „alle, die im Lande Bremen ihre Wohnung“ haben (Bremer Schulgesetz). Die Bremer Bildungsbehörde erklärt, dass geflüchtete Kinder erst „nachdem sie in einem Übergangswohnheim aufgenommen wurden“ von der Heimleitung der Schulbehörde gemeldet und den Schulen angekündigt werden. „Diese Ankündigung kann durch die Leiterinnen und Leiter der Wohnheime, durch Sie als Erziehungsberechtigte, durch Betreuer oder durch Übersetzer erfolgen.“ Daran anschließend soll eine Platzvergabe in die Vorkursen erfolgen.
Statt eingeschult zu werden, erhalten geflüchtete Kinder aus Notunterkünften oder in der Erstaufnahmeeinrichtung nur Sprachlernangebote über „Hausbeschulungen“ oder wie in Bremerhaven in ca. 20 sogenannten „Willkommensklassen„.
„Eigentlich sollen die Mädchen und Jungen nur acht Wochen in der Willkommensklasse bleiben, doch momentan gibt es zu wenig freie Schulplätze. Deswegen bleiben sie zwei bis drei Monate…“
Das Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) kommt basierend auf einer Studie zu der Einschätzung, Flüchtlingskinder sollten besser mit deutschen Kindern zusammen unterrichtet werden als in diesen sog. „Willkommensklassen„.
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind in Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht, dortige MitarbeiterInnen kümmern sich um die Betreuung. Ob sie auch für die Schulanmeldung zuständig sind, scheint oft unklar, wie wir aus vielen persönlichen Berichten wissen und auch der Weser Kurier im Frühjahr 2016 berichtet hat. So blieben mehrere Hundert Minderjährige ohne Schulplatz. Insgesamt waren es zu diesem Zeitpunkt über 1.000 schulpflichtige Kinder und Jugendliche.
In Vorbereitung ist nun sogar eine zentrale „Erstbeschulung“ für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, für die es aber noch keinen Standort gibt. (https://www.bildung.bremen.de/deutsch_lernen-117140)
Das Recht auf Bildung
Diese Praxis ist nicht zu billigen, denn das Recht auf Bildung ist ein Grundrecht.
Es ist im Artikel 28 der UN-Kinderrechtskonvention, in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und auch in Art. 14 der EU-Aufnahmerichtlinie (2013/33) festgeschrieben. Auch nach Artikel 28 der Kinderrechtskonvention (KRK) muss das Recht des Kindes auf „Bildung ohne Diskriminierung“ möglich sein. Mehr noch: „Strategien, die auf soziale Inklusion setzen, bedeuten nicht nur einen Gewinn für Kinder und Jugendliche, die Diskriminierungen erfahren und denen durch inklusive Maßnahmen in der Bildung Möglichkeiten der gesellschaftlichen Partizipation eröffnet werden müssen“ (Motakef, 2006). Das gilt im übrigen auch für Kinder, die über keine Aufenthaltspapiere, keine Meldebestätigung oder keine Geburtsurkunde verfügen oder vorlegen können.
Die Landesflüchtlingsräte, der BumF e.V. und Jugendliche ohne Grenzen (JOG) fordern daher: Schule für alle und haben detaillierte Forderungen. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat dazu konkrete Handlungsempfehlungen entwickelt.
Bremer Projekt „Schule für alle“
Das Projekt setzt sich verschiedenartig für einen Zugang zum Schulunterricht ein: Durch Lobbyarbeit und fachöffentliche Informationen und Workshops. In Schulworkshops werden insbesondere SchülerInnen informiert, in Fachveranstaltungen für Lehrkräfte geht es um Asylrecht und das Thema Aufenthalt, mögliche Traumatisierungen von geflüchteten Kindern und interkulturelle Lehrmaterialien. Die Workshops bieten Informationen für Schulen zum Thema Flucht, Migration und Asyl an.
Dabei vermitteln wir Ihnen und Euch Informationen, Biografisches und Hintergründe zum Thema Flucht und Teilhabe. Melden Sie sich gerne telefonisch bei uns und laden Sie uns ein.
Gesamtbild
Eine aktuelle „Recherche zur Bildungssituation von Flüchtlingen in Deutschland“ gibt einen Überblick über strukturelle Zugangshemmnisse und Problemlagen, wie z.B. die Beschulung in Erstaufnahmen oder die unterschiedlichen Schulpflichtregelungen. Eine umfassende Darstellung der „Rahmenbedingungen des Zugangs zu Bildungsangeboten für Asylsuchende, Schutzberechtigte und Personen mit Duldung“ findet sich hier.
In Niedersachsen und Hamburg wird auch in den Erstaufnahmen ein Beschulungsangebot offeriert. Hier ein Bericht aus dem Handelsblatt vom September 2017 (pdfhb20170915014)
Abschiebungen aus Schulen
Die erklärte Absicht der Politik, die Zahl der Abschiebungen zu steigern, führte in letzter Zeit bundesweit dazu, dass auch Schüler*innen aus Schulen zur Abschiebung abgeholt wurden. Schulleiter*innen und Lehrkräfte wurden zur Kooperation mit der Polizei aufgefordert. Die Reaktionen schwanken zwischen Empörung und Achselzucken. Da Abschiebungen nicht mehr angekündigt werden dürfen, erscheint die Polizei zur Durchführung der Überstellung in den Herkunftsstaat oder einen Drittstaat regelmäßig unangekündigt, etwa in der Wohnung, aber auch in der Schule, am Arbeitsplatz oder künftig möglicherweise auch im Kindergarten. Was ist in dieser Situation zu tun? Zusammen mit der GEW haben wir einen Handlungsleitfaden erstellt, der Hinweise und weiterführende Informationen vermittelt, um die eigenen Handlungsmöglichkeiten abschätzen zu können. Mehr dazu hier.
Rückblick: Bremen enthält Flüchtlingen Bildungsangebote vor – Ihr Recht auf Bildung scheint ausgesetzt
Eine Anfrage der Linksfraktion an den Bremer Senat hat im November 2015 besorgniserregende Antworten geliefert: Von Januar bis Ende September 2015 sind 1.460 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (umF) im Land Bremen in Obhut genommen worden, Mitte Oktober diesen Jahres waren aber gerade einmal 600 von ihnen in einem Sprachkurs untergebracht. Nach Schätzungen basierend auf der Senatsantwort haben nur etwa 60 % der Minderjährigen (in Familien) einen Vorkurs-Platz bekommen. Bereits im vergangenen Schuljahr konnte Bremen keine ausreichende Anzahl von Schul- und Vorkursplätzen gewährleisten. Nach Angaben eines Sprechers der Bremer Senatorin für Kinder und Bildung Mitte August 2015 wurden im vergangenen Schuljahr (2014/ 2015) nur gut 500 Kinder von Flüchtlingen und rund 350 unbegleitete Minderjährige an Schulen in Bremen aufgenommen. Wie viele Flüchtlingskinder es im Schuljahr 2015/ 2016 sein werden, könne man noch nicht sagen, so die Behörde gegenüber radiobremen. Diese Antworten liegen nun vor und bestätigen den Trend der lückenhaften Beschulung.
„In den Zentralen Aufnahmestellen gibe es keine Beschulungsangebote für Kinder von Flüchtlingen“, heißt es in der Senatsantwort, an fünf Standorten werde nur eine sog. „Hausbeschulung“ organisiert. Grund dafür ist, Ummeldungen durch einen Umzug in anderen Stadtteil zu vermeiden. Auch die GEW hat bereits im November 2015 in einem offenen Brief strukturelle Verbesserungen gefordert. „Bisher wurde von der Senatorin für Kinder und Bildung noch kein Konzept zur Bewältigung dieser Aufgabe vorgelegt.“ Es fehle vor allem an zusätzlichen pädagogischen Kräften. Auch der Wegfall von sozialpädagogischen Stellen an der Allgemeinen Berufsschule in den vergangenen Jahren erweise sich als Fehler mit dramatischen Folgen, so die GEW Bremen.
Hinzu kommt, dass am 24. Oktober 2015 das „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“ in Kraft tritt. Vielen Jugendlichen aus sicheren Herkunftsländern wird damit die betriebliche Berufsausbildung verboten oder sie müssen gar ihre Arbeits- und Ausbildungsstellen verlassen. [Mehr]