Nur einen Monat nachdem die Anwältin der Eltern von Qosay K. in ihrer Beschwerdebegründung die vielen Lücken und Unstimmigkeiten in den bisherigen Ermittlungen detailliert nachgewiesen hat, erklärt die Generalstaatsanwaltschaft in Oldenburg das Ermittlungsverfahren gegen die involvierten Polizeibeamten und Rettungskräfte nun für beendet. Sie will die Hinweise auf Körperverletzung, unterlassene Hilfeleistung im Amt und fahrlässige Tötung durch Unterlassen im Polizeigewahrsam nicht erkennen. Weder die Vorladung weiterer Zeug*innen noch die Ausermittlung offener Fragen hält die Generalstaatsanwaltschaft für nötig, die Klärung der Todesursache für nicht erforderlich: Sie mutmaßt lieber über eine Intoxikation, die Qosay selbst zu verantworten habe – ohne dass sie hierfür eine schlüssige Erklärung liefern oder eine konkrete Substanz bestimmen kann.
Im Zentrum der staatsanwaltschaftlichen Erklärungsbemühungen steht nach wie vor der im Mageninhalt von Qosay aufgefundene Superabsorber. Doch die sich aufdrängenden Fragen, ob dieser Superabsorber im Krankenhaus postmortem in den Mageninhalt gelangt sein könnte (Gelier-Granulat wird im Krankenhaus zum Auffangen von Flüssigkeiten verwendet, möglichweise auch bei der Entnahme von Qosays Mageninhalts im Rahmen der Gastroskopie) und ob die Einnahme von Superabsorbern überhaupt tödlich ist (bisher nicht nachgewiesen), interessieren die Generalstaatsanwaltschaft nicht. Sie beharrt stattdessen auf einer oralen Einnahme (verpackt, ohne dass Verpackungsmaterial aufgefunden worden wäre) und der folgenden Intoxikation durch diesen Stoff oder auch eine andere, nicht näher bestimmte Substanz – da will sich der Staatsanwalt nicht festlegen.
„Die Ermittlungen wurden von der Staatsanwaltschaft widerwillig und voreingenommen geführt, sie sind im Ergebnis oberflächlich und in sich widersprüchlich“, so das Bündnis in Erinnerung an Qosay. „Zu dieser mangelnden Sorgfalt kommt noch die rasende Geschwindigkeit hinzu, in der die Ermittlungen nun für erledigt erklärt wurden. Daran können wir sehen, dass es niemals ein ernsthaftes staatsanwaltschaftliches Interesse an der Aufklärung von Qosays Tod gab.“ Die Schreiben der Oldenburger Staatsanwälte offenbaren an vielen Stellen die gängige Täter-Opfer-Umkehr, die auch aus anderen Fällen der Leugnung und Vertuschung tödlicher Polizeigewalt bekannt ist. So wurde Qosay ein angebliches Übergewicht angedichtet und bei der Frage nach der Todesursache in den Mittelpunkt gerückt. Die Anwältin hat auch diese Behauptung widerlegt und nachgewiesen, dass die Staatsanwaltschaft ein falsches Körpergewicht von Qosay zugrunde gelegt hatte.
Die Ausermittlung einer von den Krankenhausärzten bei Qosay diagnostizierten Thrombose, die auf ein Bauchtrauma durch äußere Gewalteinwirkung zurückzuführen sein könnte, wurde in der staatsanwaltschaftlichen Beschwerdeablehnung ebenso lapidar vom Tisch gewischt wie die Tatsache, dass die Beamten auf der Polizeiwache Qosay nach seinem tödlichen Kollaps keinerlei Erste-Hilfe-Maßnahmen wie Herzdruckmassage oder Beatmung zukommen ließen. Die Notärzte fanden bei ihrem Eintreffen Qosay allein auf dem Fußboden des Gewahrsamsflurs vor.
„Im Endeffekt sagt die Generalstaatsanwaltschaft: ‚Wir wissen nicht, woran er gestorben ist – und es ist uns auch völlig egal. Das einzige, was uns interessiert, ist: Die Polizei hat nichts damit zu tun‘“, so das Bündnis in Erinnerung an Qosay. „Während einer möglichen Beförderung der beteiligten Polizisten nun kein Ermittlungsverfahren mehr im Wege steht, bleiben Qosays Eltern, seine Geschwister und seine Freund*innen mit ihrem Schmerz und den vielen unaufgeklärten Fragen und Widersprüchen zu seinem Tod im Polizeigewahrsam alleine zurück – das ist unerträglich.“
Den Hinterbliebenen haben in einem solchen Fall wenig rechtliche Möglichkeiten, die Aufklärung durch die Staatsanwaltschaft zu erzwingen. Die Familie wird nun selbst nach Kräften dafür sorgen, dass der Fall weiter aufgeklärt wird, nach dem die staatlichen Behörden sie derart im Stich gelassen haben. Denn die Hinterbliebenen haben ein Recht auf Aufklärung, sie müssen wissen, was ihrem Sohn während der Festnahme und im Polizeigewahrsam angetan wurde. Das Bündnis in Erinnerung an Qosay wird über den Tod von Qosay nicht schweigen und weiter öffentlichen Druck aufbauen – insbesondere vor dem Hintergrund, dass die rassistischen Polizeikontrollen und Schikanen in Delmenhorst seit Qosays Tod unvermindert weiter gehen.
„Die kritische Öffentlichkeit kann und wird nicht hinnehmen, dass der Tod eines Menschen in Polizeigewalt unaufgeklärt bleibt, dass zum x-ten Mal rassistische Polizeigewalt dethematisiert wird und die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen werden,“ so das Bündnis in Erinnerung an Qosay.