Der Umgang mit »Gefährdern«

Im Interview mit dem NDR sagt der Bremer Innensenator Mäurer (SPD), er wolle den 18-jährigen Izmulla A., einen sogenannten »Gefährder« aus Dagestan, der sein ganzes Leben in Bremen verbracht hat, »um jeden Preis« abschieben. Außerdem werde er auch in Zukunft alles dafür tun, diese »Gefährder« außer Landes zu bringen. Er sei für die Sicherheit der hiesigen Bevölkerung zuständig und könne das Risiko, dass es »hier« zu einem Anschlag komme, nicht verantworten.
Diese Aussage steht für eine bedenkliche Entwicklung, die in Bremen mit dem Fall Izmulla A. seinen Anfang nahm. »Um jeden Preis« bedeutet im konkreten Fall nämlich auch um den Preis, dass Izmulla A. in Russland Menschenrechtsverletzungen drohen. Der Fall ist darüber hinaus exemplarisch für die rechtsstaatliche Entgrenzung im Umgang mit nicht-deutschen Menschen, die als »Gefährder« eingestuft werden – die der Staat also als »gefährlich« für die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland einstuft. Dieser Beitrag folgt der Geschichte des Izmulla A. ab seiner Inhaftierung im März 2017 und zeigt damit die rechtsstaatlich bedenklichen und gesellschaftspolitisch relevanten Entwicklungen (in Bremen) auf.

§ 58a AufenthG – Neuentdeckung der Innenminister

Izmulla A. wurde schon einige Zeit vor seiner Inhaftierung von den Sicherheitsbehörden überwacht. Im März 2017 wurde er an seinem 18. Geburtstag festgenommen und durch die zuständige Bremische Behörde für Inneres die Abschiebung in die Russische Föderation – nach Dagestan – gemäß § 58a AufenthG angeordnet. § 58a AufenthG sieht vor, dass die jeweils oberste Landesbehörde wegen einer »besonderen Gefahr«, die von dem_der »Ausländer«_in ausgeht, diese_n ohne Ausweisung abschieben kann. Mit der Anordnung der Abschiebung erlischt der Aufenthaltstitel und es erfolgt automatisch ein lebenslanges Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 11 Abs. 5 AufenthG). Die Abschiebungsanordnung ist sofort vollziehbar.

Die besondere Gefahrenlage bezieht sich auf die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder auf die Begehung eines terroristischen Anschlags. Charakteristisch für eine Abschiebung nach § 58a AufenthG ist die von der Person ausgehende Gefahr: Es geht nicht – wie sonst im Gefahrenabwehrrecht (wozu auch das Migrationsrecht gehört) – um eine konkrete Gefahr für ein Schutzgut. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu bestimmt, dass »eine vom Ausländer ausgehende Bedrohungssituation im Sinne eines beachtlichen Risikos, das sich jederzeit aktualisieren und in eine konkrete Gefahr umschlagen kann«, ausreicht (Beschluss vom 21.3.2017, BVerwG 1 VR 1.17).

Diese besonders einschneidende, aufenthaltsbeendigende Maßnahme setzt also unterhalb einer Gefahrenschwelle an, deren es zum Beispiel bedarf, um eine einfache Identitätskontrolle durchzuführen.

Im Übrigen ist das erforderliche Risiko des Gefahreneintritts auch unabhängigvon der zeitlichen Eintrittswahrscheinlichkeit. Begründet wird die Herabsetzung der Anforderungen an diese Gefahr mit der besonderen Bedrohung durch Terrorismus und dem Erhalt staatlicher Sicherheit. Das ist insofern erstaunlich, als es noch bei der Einführung des § 58a AufenthG im Jahr 2005 in der rechtswissenschaftlichen Literatur geheißen hatte, die Anwendungshürden des § 58a AufenthG müssten sehr hoch liegen. Es müsse eine ganz konkrete oder in Bezug auf die Schadenshöhe besondere Gefahr vorliegen, um eine Person in einem solchen verkürzten Verfahren abzuschieben. Von 2005 bis Anfang 2017 war eine Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG deswegen auch nur ein einziges Mal erlassen worden.

Der Paragraph 58a AufenthG war damals eingeführt worden, um die Gefahr, die von so genannten »Top-Gefährdern« ausgeht, durch eine Abschiebung ohne Ausweisung und mit verkürzten Rechtsmittelfristen zügig abwehren zu können. Nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz in Berlin Ende 2016 wurde innerhalb der darauf folgenden drei Monate bis März 2017 die Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG schließlich mindestens vier Mal erlassen. Und zwar ohne dass sich die rechtlichen Bedingungen geändert hätten. Einzig die Stimmung in der BRD hatte sich verändert – was, so scheint es, auch die juristische Einschätzung über die Voraussetzungen von § 58a AufenthG maßgeblich beeinflusst hat. Die Prognose dieser Gefährlichkeit, die den Behörden zufolge von Izmulla A. ausgehen würde, beruht auf Auswertungen von Chatverläufen und Datenträgern sowie Erkenntnissen aufgrund von psychologischen Gutachten und Befragungen durch die Polizei.

Für eine Inhaftierung und selbst für eine Abschiebung muss sich eine solche »Gefährlichkeit« aber nicht verwirklichen. Auch gegenteilige Erwägungen, die Izmulla zwar als (in Bremen) radikalisierten, aber dennoch gut integrierten jungen Mann darstellen lassen, werden durch die Behörde nicht angestellt. Und noch darüber hinaus werden solche Erwägungen auch von den Gerichten nicht berücksichtigt: Es genügt, dass die Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts genauso hoch ist wie die Wahrscheinlichkeit,dass nichts passiert.


Verschärfte Haftbedingungen

Izmulla A. saß also aufgrund einer Prognose der Sicherheitsbehörden, die ihm eine besondere Gefährlichkeit zuschreibt, in Bremen in der Abschiebungshaft. Weil es in der Abschiebungshaft um die Sicherung der Abschiebung geht und nicht um die Verbüßung einer Straftat, ist das dortige Vollzugsregime – zumindest in Bremen und zumindest bisher – relativ liberal gewesen. Mit der Inhaftierung von Izmulla A. hat sich diese Linie geändert: In Bremen gelten in der Abschiebungshaft nun verschärfte Vollzugsbedingungen, nämlich »besondere Haftbedingungen für gefährliche Personen«. Izmulla A. wurde von anderen Mitgefangenen isoliert, durfte nur noch unter Überwachung Besucher_innen empfangen, mit denen er Deutsch sprechen musste, damit die Mithörenden den Gesprächen folgen konnten; das gleiche galt für Telefonate. Erheblich reduziert wurden auch die Zeiten, in denen er aus seiner Zelle durfte – von ungefähr 15 Stunden auf fünf Stunden am Tag.

Als rechtliche Grundlagen kommen hier allein Normen des Gesetzes über den Abschiebungsgewahrsam in Betracht, welche die Rechte der Abschiebungsgefangenen aber überhaupt erst positiv bestimmen. So heißt es beispielsweise in § 6 des Gesetzes über den Abschiebegewahrsam im Land Bremen bezüglich der Besuchsrechte: »Abschiebungshäftlinge dürfen Besuch empfangen. Aus Gründen der Sicherheit kann ein Besuch davon abhängig gemacht werden, dass der Besucher sich und seine mitgeführten Gegenstände durchsuchen lässt.« Eine Überwachung des Besuchs und die Einschränkung auf Gesprächsführungen ausschließlich in deutscher Sprache lässt sich nicht finden. Dennoch sehen weder das Bremer Verwaltungsgericht noch das Oberverwaltungsgericht hier rechtliche Bedenken. Auch hier gilt – unabhängig von der Ermächtigungsnorm – eine Generalklausel, die aus Sicherheitsgründen Einschränkungen ermöglicht. Dies genügt, um die Freiheitsrechte des sog. »Gefährders« radikal einzuschränken.

Das Bundesverwaltungsgericht als erste und letzte Instanz 

Gerichtlich kann gegen eine Anordnung nach § 58 a AufenthG in der ersten und einzigen Tatsacheninstanz nur vor das Bundesverwaltungsgericht gezogen werden. Das Bundesverwaltungsgericht wie auch später das Bundesverfassungsgericht haben die Abschiebung von Izmulla A. zunächst bestätigt, wobei das Bundesverfassungsgericht ausschließlich eventuelle Grundrechtsverletzungen, aber keine Tatsachen mehr überprüft. Weil bei potentiellen islamistischen Terroristen gerade in Russland Menschenrechtsverstöße wegen Folter und unmenschlicher Behandlung drohen, wurde auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) angerufen. Der EGMR hat in Verfahren gegen Russland bereits in 50 Verfahren Verstöße gegen das Folterverbot aus Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention und in weiteren 261 Verfahren Verstöße gegen das Verbot der unmenschlichen Behandlung festgestellt – mehr als in jedem anderen Staat, der die Europäische Menschenrechtskonvention ratifiziert hat. Aktuelle Menschenrechtsberichte von Amnesty International bestätigen diese Zahlen. Den Senator für Inneres Ulrich Mäurer, ein in Bremen ausgebildeter Jurist, interessieren Menschenrechte jedoch nach eigenen Aussagen »relativ wenig.« (Interview mit buten un binnen, 24.3.2017).

Der EGMR stoppte dann zunächst die Abschiebung von Izmulla A. Die deutschen Behörden sind in diesem Fall verpflichtet, die Abschiebung zu unterlassen. Die bremischen Behörden brauchten über 15 Stunden, um diese Entscheidung zu verifizieren. Das bedeutete konkret, dass Izmulla A. – trotz Kenntnis der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs – nach Frankfurt zum Flughafen gefahren wurde. Und dann wieder zurück. In der Folge wurde Izmulla A. in die Untersuchungshaft verlegt. Auch dort sind ihm verschärfte Haftbedingungen auferlegt worden. Diese verschärften sich nochmals, als der EGMR den Abschiebungsstopp wieder aufhob. Für Izmulla A. bedeutete dies, dass er die letzten Tage vor seiner Abschiebung in Isolationshaft verbrachte – in Hand- und Fußfesseln und rund um die Uhr vom Sicherheitsdienst bewacht. Der Kontakt zu seiner Familie wurde ihm faktisch unmöglich gemacht. Schließlich wurde er Anfang September nach Moskau abgeschoben. Das Hauptsacheverfahren in seinem Fall läuft noch und auch das endgültige Urteil des EGMR steht noch aus.

Entgrenzung skandalisieren 

Als Ausblick auf die nächste Zeit bleibt zu hoffen, dass der EGMR der Abschiebepraxis im Verfahren des § 58a AufenthG einen Riegel vorschiebt. In der Bremer Abschiebehaft unterliegt momentan eine weitere Person den gleichen verschärften Vollzugsbedingungen wie Izmulla A., obwohl er nicht nach § 58a AufenthG abgeschoben werden soll. Die Behörde für Inneres stuft ihn als »gefährliche Person« ein: eine Wort-Neuschöpfung, die nun – auch ohne eine »auf Tatsachen gestützte Prognose« – die verschärften Haftbedingungen rechtfertigen soll.

Es findet eine rechtliche Entgrenzung im Umgang mit nicht-deutschen sog. gefährlichen Personen und »Gefährdern« statt, die mit dem Erhalt der nationalen Sicherheit – eben »um jeden Preis« – gerechtfertigt wird. Wir hoffen, dass sich – trotz der nationalistischen Stimmung – noch Räume in Bremen finden lassen, in der diese Entgrenzung skandalisiert werden kann.

(Gianna Schlichte und Nele Ostermann, Bremen im August 2017)

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