In ihrem Menschenrechtsbericht 2017 kritisiert das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) die fortbestehenden Missstände in deutschen Flüchtlingsunterkünften. Der Bericht, der dem Bundestag vorgelegt wird, konzentriert sich auf die erheblichen Schwierigkeiten, denen geflüchtete Menschen mit Behinderungen in Deutschland ausgesetzt sind, sowie auf die Rahmenbedingungen des Lebens in Flüchtlingsunterkünften. Fehlende Regeln und Standards führten oftmals zu Machtmissbrauch und Willkür durch Mitarbeiter_innen in Unterkünften. Grund- und menschenrechtliche Standards würden vielfach nicht eingehalten. Es mangele weiterhin an einem klaren Verfahren zur Identifikation von besonsders schutzbedürftigen Menschen. Das Institut hält fest, „dass zentrale Menschenrechte bei der Unterbringung Geflüchteter nach wie vor nicht ausreichend geachtet werden.“
Wir schließen uns darüber hinaus der Kritik des Flüchtlingsrat Niedersachsen an der weit verbreiteten Praxis der Unterbringung von Schutzsuchenden in Not- und Gemeinschaftsunterkünften an. Denn diese“Unterkünfte“ erschweren nicht nur die Integration und Teilhabe der Bewohner_innen nachhaltig. Die Unterbringung in solchen Lagern bedeutet außerdem einen starken Eingriff in die Autonomie von Geflüchteten.
„Obschon die Beschaffenheit der Gemeinschaftsunterkünfte mitunter deutlich variiert, beeinträchtigt die Unterbringung in diesen provisorischen Orten die Bewohner_innen in gravierender Weise“, so die Kolleg_innen aus Niedersachsen. Das gilt selbstverständlich auch für Bremen, wo mindestens noch eine Einrichtung jüngst von einer Notunterkunft zu einer Außenstelle der erstaufnahme gemacht wurde – ohne bauliche oder strukturelle Veränderungen.
Dazu kommt, dass Kinder und Jugendliche in Erstaufnahmeeinrichtungen ohne Zugang zu Bildung bleiben. Das in Bremen gängige „Hauslehrermodell“ ist die offiziell gewählte rechtswidrige Alternative zum Regelschulunterricht.
Das unfreiwillige Zusammenleben bedeutet für viele Menschen eine psychosoziale Belastung. Hinzu kommen fehlende Privatsphäre, Lärm und Unruhe sowie lange Phasen ohne Beschäftigung. Insbesondere geflüchtete Frauen leiden unter den Bedingungen in den Lagern. Frauen sind dort häufig häuslicher Gewalt, psychischem Druck und sexuellen Übergriffen ausgesetzt; sie fühlen sich in den Lagern oft unsicher und gefährdet.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte kritisiert in ihrer Analyse, dass es kaum barrierefreie Unterkünfte gebe. Hilfsmittel und Therapien würden von den Behörden nicht oder nur nach sehr langwierigen Verfahren genehmigt. Darüber hinaus fehlten, so das DIMR, für das Leben in den Unterkünften und das Verhältnis von Mitarbeiter_innen und Bewohner_innen Regeln. Wenn Regeln bestünden, seien diese oft unpräzise und widersprächen sie häufig grund- und menschenrechtlichen Standards. Angesichts fehlender Regeln und Standards hätten die Mitarbeiter_innen einen sehr großen Handlungsspielraum, der oftmals zu Machtmissbrauch und Willkür führe. Es mangele an einer Sensibilisierung der Bewohner_innen für ihre Rechte. Sozialarbeiter_innen, den diese Aufgabe zukomme, seien oftmals mit Aufgaben betraut, für die sie eigentlich nicht zuständig seien. Es fehle an Supervisionen und Fortbildungen, zudem sei der Personalschlüssel nicht angemessen. Mitarbeiter_innen könnten angesichts der hohen Zahl von Geflüchteten, für die sie zuständig seien, ihren Aufgaben oftmals nicht mehr gerecht werden. Diese strukturellen Mängel begünstigten, so das Institut, Machtmissbrauch und Willkür. Besonders misslich sei, dass in den allermeisten Kommunen keine Korrekturmechanismen etabliert seien, es also keine niedrigschwelligen Beschwerdestellen gebe.
Anlässlich der Vorstellung des Berichts fordert das Deutsche Institut für Menschenrechte zudem, den Familiennachzug wieder uneingeschränkt, also auch für sogenannte „subsidiär Geschützte“, zu ermöglichen. „Das Menschenrecht auf Familienleben darf nicht zum Spielball der Politik werden“, so Beate Rudolf, die Direktorin des Instituts.
Presseberichte
„Gravierende Missstände in Unterkünften“, in: Tagesschau.de vom 6. Dezember 2017.
Institut für Menschenrechte kritisiert Lage in deutschen Sammelunterkünften, in: Deutschlandfunk vom 6. Dezember 2017.
Unterbringung von Flüchtlingen in Deutschland bemängelt, in: ZEIT Online vom 6. Dezember 2017.
DIMR fordert uneingeschränkten Familiennachzug, in: Frankfurter Rundschau vom 6. Dezember 2017.
Menschenrechtsinstitut kritisiert Sammelunterkünfte, in: Der Tagesspiegel vom 6. Dezember 2017.
Der Menschenrechtsreport des DIMR
Deutsches Institut für Menschenrechte, Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland. Juli 2016 – Juni 2017, Berlin 2017.