Immer wieder kommt es vor, dass Polizei und Ausländerbehörden ihre Befugnisse überschreiten um eine Abschiebung durchzusetzen. Besonders oft besteht dieses Problem in Übergangswohnheimen. Der Flüchtlingsrat hat dazu Informationen für Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen zusammengestellt.
Im Dezember 2019 drangen 12 Polizist*innen während des Unterrichtsbetriebs in Räume der Volkshochschule ein, um eine Schülerin zu suchen und abzuschieben. Der Einsatz hat für die Einrichtung und für die Schüler*innen nachhaltigen Schaden hinterlassen.
Es lag weder ein Haftbefehl noch ein Durchsuchungsbeschluss vor, selbstverständlich bestand auch keine Gefahr im Verzug. Es ging einzig darum, eine Abschiebung durchzusetzen, die übrigens im „Erfolgsfall“ rechtswidrig gewesen wäre, die betroffene Schülerin erhielt später ein Aufenthaltsrecht.
Die Volkshochschule hat sich über diesen Einsatz in ihrem Gebäude beschwert und der Senat hat aus diesem Anlass im Dezember 2020 Regeln für Polizeieinsätze bei Abschiebungen an besonders sensiblen Orten formuliert.
Mit dem Erlass wird erstmalig ausdrücklich eingestanden, dass die Polizei auch bei der Durchsetzung von Abschiebungen verhältnismäßig vorgehen muss, und z.B. das Eindringen in Schulen unverhältnismäßig ist. Die Regelung ist aber unzureichend:
- Die Liste der „sensiblen und besonders sensiblen Bereiche“ ist unvollständig und teilweise unklar definiert.
- Der Erlass unterbindet Einsätze in „sensiblen Bereichen“ nicht, sondern führt lediglich eine Abwägungs- und Dokumentationspflicht ein. Insofern handelt es sich lediglich um eine Ermahnung an die Polizei, sich an das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu halten.
- Auch Abschiebungen an „besonders sensiblen Bereichen“ werden nicht ausgeschlossen, sie sollen lediglich „regelmäßig nicht erfolgen“ und unterliegen nun einem Genehmigungsvorbehalt des Innensenators.
- Der Erlass bezieht sich lediglich auf geplante Einsätze, lässt der Polizei also im Verlauf eines Einsatzes Spielraum, von der Regel abzuweichen.
- Polizeieinsätze wie der in der Volkshochschule schädigen die Arbeit einer solchen Einrichtung nachhaltig. Wenn die Gefahr besteht, zum Zweck der Abschiebung aus der Schule, dem Kindergarten oder der Arztpraxis herausgerissen zu werden, dann werden Menschen die dies zu Recht oder zu Unrecht befürchten, solche Einrichtungen nicht mehr aufsuchen.
Dieser Aspekt ist zwar der Anlass für den Erlass. Er fehlt aber in der Abwägung vollständig. Eine Einbeziehung der Einwände von Betreiber*innen von besonders sensiblen Einrichtungen ist nicht vorgesehen. Abgewogen wird allein von der Polizei (und ggf. dem Innensenator) und nur hinsichtlich der Frage, ob die Abschiebung auch an einem anderen Ort durchsetzbar wäre
Somit erreicht der Erlass sein vorgebliches Ziel, sensible Orte vor unverhältnismäßigen Abschiebe-Einsätzen durch Polizei und Ausländerbehörden zu schützen, nur teilweise und bestätigt dabei einmal mehr eine völlig falsche Prioritätensetzung: Grundrechte (wie die Unverletzlichkeit der Wohnung, das Recht auf körperliche Unversehrtheit oder das Recht auf Bildung) und die Gewährleistung gesellschaftlich und individuell wichtiger Partizipation (wie zum Beispiel der Besuch von Schulen, Kindergärten, Krankenhäusern, Arztpraxen, Beratungsstellen und anderen öffentlichen Einrichtungen) werden im Zweifel der gewaltsamen Durchsetzung von bloßem Ordnungsrecht untergeordnet.